03.03.2021
Digitalisierung
Trendreport
Digitale Gesundheitsanwendungen: Der Durchbruch naht
Mit dem Beschluss des Gesetzes für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale-Versorgung-Gesetz – DVG) im Dezember 2019 können digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) endlich durchstarten. DiGAs sollen schneller und einfacher dem Markt beitreten können. Ein spannendes, umfangreiches Thema, welches auch auf der MedtecLIVE unter die Lupe genommen wird. Insgesamt zehn dieser Anwendungen haben es bisher in das Verzeichnis geschafft, davon sieben vorläufig.
DiGAs – App auf Rezept
DiGAs, das sind Medizinprodukte, deren Hauptfunktionen auf digitalen Technologien beruhen. Mithilfe der Anwendungen sollen Erkennung, Überwachung, Behandlung, Linderung oder Kompensation von Krankheiten, Verletzungen oder Behinderungen möglich gemacht werden. 48 Anträge wurden bereits beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eingereicht. Anwendungen, die bereits auf dem Markt sind, beschäftigen sich mit chronischem Tinnitus, Angststörungen, Rücken- und Gelenkschmerzen, Adipositas und Schlafstörungen.Hohe Anforderungen von Anfang an einkalkulieren
Christof Schifferings, Geschäftsführer der Mynoise GmbH und Entwickler von Kalmeda, einer App für Tinnitus-Erkrankte, betont, wie wichtig es ist, bereits vor der Entwicklung zu wissen, worauf man achten muss: „Von Anfang an war uns klar: Achtung, wir wollen ein Medizinprodukt programmieren. Wir müssen von Beginn an bei der Entwicklung die Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit, aber insbesondere auch die geforderten Dokumentationspflichten aus dem Medizinprodukteumfeld beachten.“ Denn: Alle Anforderungen gleich zu berücksichtigen, spart später Zeit und finanzielle Mittel.Auch Chantal Herberz, Produktmanagerin bei Portabiles HealthCare Technologies GmbH, einem Startup, welches bereits Aussteller auf der MedtecLIVE war, kennt die Herausforderungen auf dem Weg zur DiGA. Sie und ihr Team arbeiten derzeit an einer Anwendung für Parkinson Patienten. Dabei spielt auch das in der Regel höhere Alter der Zielgruppe eine Rolle: „Da ist eine Herausforderung, die Anforderungen an die Technik gut und gleichzeitig simpel umzusetzen, damit die ältere Patientengruppe damit gut zurechtkommt. Das ist für uns aber per se keine Hürde, sondern einfach etwas, was wir berücksichtigen müssen.“
Nach der Zulassung wartet dann die nächste Aufgabe, die Hersteller jeder Branche kennen: Wie kommt das Produkt zum Verbraucher? Viele Ärzte wissen möglicherweise noch nicht um die Existenz der helfenden Apps. Deshalb, so die Entwickler, müssen digitale Lösungen bekannter in der Gesellschaft werden: Aufklärungsarbeit ist der Schlüssel. „Unser Ziel ist es, nicht vorbei an den Ärzten, sondern mit ihnen gemeinsam zu arbeiten. Dazu bekommen wir viele positive Rückmeldungen“, so Schifferings von Mynoise. Ähnlich sieht das Julia Hagen, Director Regulatory and Politics beim Health Innovation Hub (hih): „Die Gesellschaft kennt DiGAs noch nicht. Das fängt alles gerade erst an, so langsam durchzutröpfeln.“ Bis sich die digitalen Ergänzungen zu traditionellen Behandlungsmethoden etabliert haben, werde es noch eine Weile dauern. Denn: „Aktuell zeichnet sich aufseiten der Ärzte noch vorwiegend eine Zurückhaltung ab. Viele wollen erst mal abwarten, inwiefern sich die DiGAs wirklich im Gesundheitsmarkt etablieren. Mit zunehmender Nachfrage seitens der Patienten und der Verfügbarkeit von validen Informationen in diesem Bereich ist es aber zu erwarten, dass sich auch die Bereitschaft unter der Ärzteschaft zur Verordnung von DIGAs erhöhen wird“, so Natalie Gladkov, Referentin für digitale Medizinprodukte vom Bundesverband Medizintechnologie (BVMed), der auch Mitglied im Fachbeirat der MedtecLIVE ist.
Und auch Hagen vom hih erwartet, dass der Markt weiter wächst und betont, dass regulatorische Anforderungen unerlässlich sind: „Die Hersteller haben immer das Interesse, dass die Anforderungen so leicht wie nur möglich sind, klar. Grundsätzlich hilft aber die Transparenz des Leitfadens und der Kriterien. Die Kunst ist es, eine Balance aus dem Schutz der Patienten und dem einfachen Zugang zum Markt zu finden. Man sieht ja, dass es nicht im Bereich des Unmöglichen liegt, aufgenommen zu werden.“
Warum bisher erst recht wenige Gesundheitsanwendungen in das Verzeichnis aufgenommen worden sind, erklärt Ariane Schenk, Referentin für Health und Pharma beim Digitalverband Bitkom, der ebenfalls Unterstützer von MedtecLIVE & MedtecSUMMIT ist: „Die Gründe dafür liegen an den hohen Anforderungen, die DiGA-Hersteller erfüllen müssen, weswegen die Vorbereitung des Antrags viel Zeit und Aufwand in Anspruch nimmt.“ Diese Kriterien existieren zum Schutz der Patienten und werden auch von Herstellern für notwendig und wichtig angesehen. Die Geschwindigkeit der Zulassung wird von Hagen positiv beschrieben: „Das BfArM hat in den vergangenen Monaten einen großartigen Job gemacht. Kriterien und Anforderungen mussten im Detail festgelegt werden, der Prüfkatalog wurde erstellt – all das dauert seine Zeit, zumal jeder einzelne Schritt auf Neuland gesetzt wurde. Dies alles in so kurzer Zeit zu realisieren, verdient ein großes Lob.“