Interview MedtecLIVE 2024

Interview zum AI Act: „Ein Schritt für mehr Planungssicherheit in Forschung und Entwicklung“

Am 13. März 2024 hat das EU-Parlament mit dem AI Act Regeln für das Inverkehrbringen von Produkten mit Künstlicher Intelligenz beschlossen. Wir sprachen mit Hans-Peter Bursig vom Fachverband Elektromedizinische Technik im ZVEI darüber, was Medizintechnik-Hersteller jetzt beachten sollten.

Der AI Act bedeutet noch mehr Regulierung, von der die Medizintechnik-Unternehmen betroffen sein werden. Ist die Branche nicht bereits am Limit, was Bürokratie und gesetzliche Einschränkungen angeht?

Hans-Peter Bursig: Die zusätzlichen Anforderungen durch den AI Act sind für die Branche ohne Zweifel eine zusätzliche Belastung. Die Hersteller müssen zunächst erfassen, welche Anforderungen durch den AI Act zusätzlich für die Medizinprodukte gelten, ob diese Anforderungen nicht im Widerspruch zur MDR stehen und wie diese Anforderungen dann konkret zu erfüllen sind. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die MDR bereits Anforderungen an die Sicherheit und Leistungsfähigkeit von Software stellt, die „künstliche Intelligenz“ nutzt oder mit „künstlicher Intelligenz“ entwickelt wurde.

Sie sprechen von der Gefahr, die von Widersprüchen zwischen der neuen Verordnung zur Künstlichen Intelligenz und der MDR ausgehen. An welchen Punkten machen Sie das fest? Und woran sollen sich Unternehmen halten, wenn sie solche Widersprüche feststellen?

Hans-Peter Bursig: Ein Beispiel ist das Risikomanagement. Beide Verordnungen verlangen vom Hersteller, dass er Risiken analysiert und vermeidet oder so weit wie möglich reduziert. Die beiden Verordnungen haben aber unterschiedliche Risikokonzepte. Es kann deshalb sein, dass gemäß dem AI Act ein Risiko zu minimieren ist, aber die Maßnahme zur Risikominimierung einer Anforderung der MDR zuwider läuft. Wie kann der Hersteller entscheiden, welche Anforderung jetzt Vorrang hat? Wenn Hersteller bereits jetzt solche Widersprüche benennen können oder Fragen dazu haben, sollten sie sich an ihre Verbände oder Cluster-Organisationen wenden. Es ist gerade jetzt wichtig, die unklaren Punkte so früh wie möglich zu erfassen und nach einer Lösung zu suchen.

Nach abschließender Beratung im EU-Ministerrat könnte der AI Act noch vor der Europawahl in Kraft treten. Die EU-Kommission hat jetzt eine Arbeitsgruppe angekündigt, die offene Fragen zur Anwendung klären soll. Kommt diese Arbeitsgruppe nicht zu spät?

Hans-Peter Bursig: Es ist positiv, dass diese Arbeitsgruppe bereits jetzt angekündigt wurde und nach dem Inkrafttreten schnell eingerichtet werden soll. Nach dem Inkrafttreten beginnen eine Reihe von Übergangsfristen für den AI Act. Das eröffnet die Möglichkeit, die Abgrenzung zur MDR zu klären, bevor der AI Act tatsächlich für Medizinprodukte zur Anwendung kommt.

Können Sie dem AI Act im Hinblick auf die Medizintechnikbranche auch positive Seiten abgewinnen?

Hans-Peter Bursig: Immerhin steht für die Hersteller von Medizinprodukten durch die Verabschiedung des AI Act jetzt fest, welche Anforderungen an Medizinprodukte gestellt werden, die „künstliche Intelligenz“ nutzen oder mit „künstlicher Intelligenz“ entwickelt wurden. Dass die Hersteller hierfür zwei Verordnungen analysieren müssen, ist ärgerlich. Aber überraschende neue Anforderungen an den Teil der „künstlichen Intelligenz“ werden nicht mehr dazu kommen. Das ist ein Schritt für mehr Planungssicherheit in der Forschung und Entwicklung.

Neue Gesetzgebung sind nicht immer gleichbedeutend mit neuen Hemmnissen. Von dem geplanten Medizinforschungsgesetz (MFG) heißt es zum Beispiel, dass es die Attraktivität des Pharmastandorts Deutschland stärken soll. Kann es auch für die Medizintechnik-Hersteller Verbesserungen bringen?

Hans-Peter Bursig: Der ZVEI hat in seiner Stellungnahme zum Referenten-Entwurf des MFG vorgeschlagen, dass die geplanten Erleichterungen bei der Genehmigung klinischer Studien nicht nur für Arzneimittel gelten, sondern auch für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika zur Anwendung kommen sollen. Außerdem hat der ZVEI angeregt, die Definition der klinischen Studien im MPDG (Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz, Anm. d. Redaktion) anzupassen, damit nicht jede Sammlung klinischer Daten oder jeder Einsatz von Medizintechnik als Werkzeug im Rahmen der medizinischen Forschung als klinische Studie bewertet wird. Beide Maßnahmen können dazu beitragen, dass es einfacher wird, Projekte zur Forschung und Entwicklung von Medizinprodukten in Deutschland zu starten.


Zur Person:

Hans-Peter Bursig ist Leiter des Bereichs Gesundheit im ZVEI und Geschäftsführer des Fachverbands Elektromedizinische Technik. Zu den Aufgaben des Verbandes gehört die Entwicklung des deutschen Gesundheitsmarktes, die Interessenvertretung bei der Medizinproduktegesetzgebung und die Unterstützung der Mitgliedsunternehmen beim Export. Bursig ist Mitglied im Beirat der gematik, der DIN-Kommission Gesundheitswesen und im Vorstand des europäischen Branchenverbands COCIR. Er hat Volkswirtschaft in Saarbrücken und Bonn studiert und ein Aufbaustudium Europapolitik am College of Europe in Brügge absolviert.