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OP als digitaler Kontrollraum: KI-unterstützte Robotik in der Chirurgie

Die Chirurgie befindet sich im Wandel: In vielen Operationssälen haben sich unermüdliche Roboter bereits unverzichtbar gemacht. Jetzt kommt Künstliche Intelligenz hinzu – lernfähig, vorausschauend und präzise. Gemeinsam bilden Mensch, Maschine und Algorithmus künftig das Team im OP.

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Nürnberg, Deutschland

Wo früher allein das Geschick und die Erfahrung des Operateurs entschieden, greifen heute Maschinen mit ein – von Menschen gesteuert, aber zunehmend mitdenkend. Der Operationssaal entwickelt sich zum digitalen Hochleistungszentrum, in dem Algorithmen Bilder in Echtzeit analysieren, feinste Gewebestrukturen erkennen und chirurgische Entscheidungen mit hoher Präzision unterstützen.
Die technologische Entwicklung trifft auf ein Gesundheitssystem unter Druck. Personalmangel und steigende Eingriffszahlen verlangen nach Lösungen, die Effizienz und Qualität gleichermaßen verbessern. Robotische Assistenzsysteme bieten hier konkrete Vorteile. Studien zeigen, dass Eingriffe mit ihrer Unterstützung zu geringeren Komplikationsraten, weniger postoperativen Schmerzen und kürzeren Krankenhausaufenthalten führen. In einer Analyse zu Knie-Operationen konnte etwa die Revisionsrate signifikant gesenkt werden. Besonders in der minimalinvasiven Chirurgie wird die KI-gestützte Robotik ihr Potenzial entfalten: Sie verspricht eine neue Dimension operativer Präzision und Sicherheit – für Ärzte wie für Patienten.


Roboter ermüden nicht

Professor Alexander König, kommissarischer Leiter des Lehrstuhls für Robotik und Systemintelligenz an der Technischen Universität München, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Zusammenspiel von Mensch und Maschine. Er ist überzeugt: „Automatisierte Assistenzsysteme können die Patientensicherheit erhöhen. Denn um sie überhaupt am Patienten einsetzen zu dürfen, müssen sie zugelassen werden – in Europa durch die CE-Kennzeichnung, in den USA durch die FDA. Diese Prozesse stellen hohe Anforderungen an Hardware, Software und Prozesse. Solche Systeme sind zuverlässig und handeln nicht unerwartet – und sie werden nicht müde. Das kann die Qualität und Sicherheit erhöhen, auch wenn sie nicht den besten Operateur ersetzen.“

Alexander König, Technische Universität München  ©Alexander König

Alexander König, Technische Universität München  ©Alexander König

Robotische Assistenzsysteme agieren nicht autonom, sondern unterstützen die Ärzte bei der Durchführung chirurgischer Eingriffe aktiv oder halbaktiv. Während halbaktive Systeme insbesondere in der minimalinvasiven Chirurgie genutzt werden, kommen aktive Systeme vor allem in der Orthopädie oder Neurochirurgie zum Einsatz. Sie übernehmen dabei nicht nur Bewegungen, sondern auch Navigation, Bildgebung und die präzise Platzierung von Instrumenten – ganz ohne Zittern.

KI lernt aus früheren Eingriffen

Künstliche Intelligenz geht noch einen Schritt weiter: Sie analysiert, lernt und interpretiert. In der Chirurgie bedeutet das konkret, dass Software auf Basis von Machine Learning oder Deep Learning Bilder erkennt, Bewegungen plant und Entscheidungen vorbereitet. Der Unterschied zur klassischen Robotik liegt in der Anpassungsfähigkeit: Die Systeme reagieren auf neue Situationen, lernen aus vergangenen Eingriffen und optimieren sich stetig.
In modernen Operationssälen haben sich Systeme wie "da Vinci", "Versius" oder "Hugo RAS" etabliert. Diese robotischen Helfer bieten nicht nur eine stabile Hand, sondern werden zunehmend mit intelligenter Software kombiniert. Die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine wird zur Kommandozentrale, an der Ärzte nicht mehr direkt schneiden, sondern steuern, überwachen und entscheiden.

Dynamische Interaktion

KI-Algorithmen kommen dabei an mehreren Stellen zum Einsatz. Sie identifizieren Organe und Gefäße auf Kamerabildern, berechnen die optimale Schnittlinie oder analysieren Vitalparameter in Echtzeit. Die Systeme lernen, kritische Situationen zu erkennen und rechtzeitig zu warnen. So entsteht eine dynamische Interaktion: Die Technik beobachtet, analysiert und gibt Hinweise – der Mensch entscheidet.
„Künstliche Intelligenz wird im Medizintechnikmarkt aktuell vor allem in der Bildanalyse eingesetzt – etwa bei Röntgen-, Ultraschall- oder MRT-Aufnahmen. Sie übernimmt ein erstes Screening, erkennt mögliche Auffälligkeiten und liefert Informationen, auf deren Basis dann weitergearbeitet werden kann – zum Beispiel auch in der Steuerung eines Roboters“, erklärt Axel Weber, Vice President Medical Robotics bei KUKA.

Axel Weber, KUKA ©KUKA Group

Axel Weber, KUKA ©KUKA Group

KUKA, einer der weltweit führenden Anbieter für intelligente Automatisierung, bringt schon seit einem Vierteljahrhundert seine Erfahrung aus der Industrie in die Medizintechnik ein. Das Unternehmen entwickelt keine vollständigen chirurgischen Systeme, sondern stellt Roboterplattformen wie den LBR Med bereit, die von Partnern in klinische Lösungen integriert werden. Dabei liegt der Fokus auf flexiblen, kollaborativen Systemen, die sich sicher in den sensiblen Klinikalltag einfügen lassen. Gerade im Zusammenspiel mit KI entfalten diese Systeme ihr Potenzial.

Neue Versorgungsdimension

Auch in der Neurochirurgie und Orthopädie sorgt die Technik für Millimeterarbeit: Bohrungen im Schädel oder an der Wirbelsäule lassen sich mit robotischer Präzision ausführen, während KI-Systeme permanent Daten auswerten und Korrekturen vorschlagen. In der Notfallmedizin und Telechirurgie wiederum öffnet sich eine neue Versorgungsdimension: Fachwissen wird durch Technologie mobil und ortsunabhängig einsetzbar.
„Wir entwickeln einen technischen Demonstrator für Telechirurgie. Aktuell befinden sich Arzt und Patient immer im selben Raum, verbunden durch ein Kabel. Aber bei sinkender Versorgungsdichte – vor allem im ländlichen Raum – wird das nicht reichen. Dann brauchen wir Systeme, mit denen Ärztinnen und Ärzte den Patienten taktil, also mit haptischem Feedback, behandeln können – auch über große Distanzen hinweg“, erklärt Alexander König.

Auf dem Weg zur personalisierten Chirurgie

KI-gestützte Robotik kann chirurgisches Arbeiten reproduzierbarer und sicherer machen. Darüber hinaus bietet der technologische Fortschritt ökonomisches Potenzial. Kürzere Liegezeiten, weniger Folgeeingriffe, effizientere OP-Abläufe und eine bessere Ressourcennutzung entlasten das System. Nicht zuletzt ebnet KI den Weg zur personalisierten Chirurgie: Algorithmen könnten künftig individuelle OP-Pläne berechnen, basierend auf der medizinischen Vorgeschichte und Bildgebung – ein digitaler Assistent, der ärztliches Handeln präzisiert, ohne es zu ersetzen. 
Die Implementierung in der Breite beginnt gerade erst. „Viele haben zu Hause einen Staubsaugerroboter, der gut funktioniert. Doch teilautonome Robotiklösungen – ob in der Medizin oder Produktion – sind noch nicht dort, wo wir sie gerne hätten. Gleichzeitig sehen wir ein stark wachsendes Interesse von Investorenseite. Man kommt mit 10 Prozent der Mittel zwar schon sehr weit, aber die letzten 10 Prozent bis zur Marktreife erfordern enorme finanzielle Ressourcen – und genau da tun sich derzeit viele schwer“, betont König.

Technische Herausforderungen und ethische Fragen

Doch jeder Fortschritt bringt auch Fragen mit sich. Technisch gesehen stellt vor allem die Verarbeitung großer Datenmengen in Echtzeit eine Herausforderung dar. Bilddaten, Sensordaten, Bewegungsanalysen – alles muss blitzschnell erfasst, interpretiert und umgesetzt werden. Hinzu kommt die Komplexität der Systeme: Viele Komponenten müssen nahtlos zusammenarbeiten, Schnittstellen fehlen oft, Standards sind noch nicht etabliert.
Rechtlich und ethisch bleibt ebenfalls manches ungeklärt. Wer haftet, wenn ein KI-System eine falsche Empfehlung gibt? Wie transparent müssen seine Prozesse sein? Die sogenannte "Black Box"-Problematik stellt Ärzte und Entwickler vor neue Verantwortung. Und auch die Frage der Zugänglichkeit ist zentral: Hochentwickelte Technik darf nicht zum Privileg weniger werden, sondern muss allen Patienten offenstehen.

Geteilte Autonomie

„Dass eine KI in naher Zukunft vollständig autonome Operationen durchführt, halte ich für unrealistisch. Zwar gibt es erste zugelassene medizinische Entscheidungssysteme, aber im Bereich der verkörperten KI – also, wenn Roboter physisch mit der Welt interagieren – sind wir noch weit davon entfernt“, ordnet König ein. „Ein großes Forschungsthema ist daher die 'Shared Autonomy', also die geteilte Autonomie, in der KI und Mensch Hand in Hand arbeiten.“
„Die Medizintechnik ist sehr konservativ – von vollständig autonomen Systemen sind wir noch weit entfernt“, glaubt auch Axel Weber. „Aber man sollte die Chancen, die zusätzliche Autonomie und Robotik bieten, nicht unterschätzen. Gerade KI kann enorm zur Entlastung beitragen, etwa bei der Dokumentation von Behandlungen – auch wenn das nicht direkt etwas mit Robotik zu tun hat.“

„Explainable AI“

Die Forschung im Bereich KI-gestützter Robotik erlebt derzeit eine Phase intensiver Dynamik. Weltweit arbeiten interdisziplinäre Teams daran, chirurgische Systeme intelligenter, sicherer und transparenter zu gestalten. Im Mittelpunkt stehen sogenannte „Explainable AI“-Modelle – also Künstliche Intelligenz, deren Entscheidungswege nicht im Verborgenen bleiben, sondern nachvollziehbar sind. Denn gerade im medizinischen Kontext ist Vertrauen entscheidend: Eine Technologie, deren Empfehlungen nicht erklärbar sind, stößt schnell an Akzeptanzgrenzen.
Alexander König hebt hervor: „Die technischen Fortschritte erfolgen in immer kürzeren Abständen. Aber nur weil etwas technisch machbar ist, heißt das noch nicht, dass es auch sinnvoll oder wirtschaftlich ist. Eine Innovation muss immer auch einen kommerziellen Nutzen bringen.“

Entlastung angesichts Fachkräftemangel

Parallel dazu rückt die Entwicklung selbstlernender Systeme in den Fokus. Sie analysieren Daten vergangener Operationen, erkennen Muster in Komplikationsverläufen und verfeinern auf dieser Grundlage ihre Assistenzfunktionen. Ziel ist eine Verbesserung der chirurgischen Entscheidungsunterstützung – ein dynamisches Lernsystem, das mit jeder neuen Operation präziser wird. In mehreren Pilotprojekten wird aktuell untersucht, wie solche Systeme konkrete Handlungsempfehlungen in Echtzeit generieren können, ohne den Handlungsspielraum der Operierenden einzuschränken.
Axel Weber betont, wie wichtig die Interaktion zwischen Klinik und Technik ist: „Je komplexer eine Situation ist, desto intelligenter muss die KI sein. Aber wir sehen, wie schnell sie dazulernt. Das sollte man als Chance begreifen – Robotik kann in vielen Bereichen entlasten. Der Fachkräftemangel zeigt es deutlich: Es fehlen Menschen, von der Pflege bis zur hochspezialisierten Chirurgie.“

Investitionsstau in den Krankenhäusern

Gefördert wird die Entwicklung durch nationale und internationale Programme. In Deutschland arbeiten Universitätskliniken an der Erprobung KI-basierter Navigationshilfen in der Leberchirurgie oder der automatisierten Gewebeanalyse in der laparoskopischen Onkologie. Gleichzeitig bringt eine wachsende Zahl von Start-ups frische Impulse in den Markt: Ihre modularen Plattformlösungen ermöglichen eine schrittweise Integration intelligenter Funktionen in bestehende Robotersysteme – ein entscheidender Schritt, um die Technologie auch für kleinere Häuser zugänglich zu machen.
Gleichzeitig wird die Investitionsfinanzierung durch die Länder in Deutschland vielfach als unzureichend erachtet. Der Investitionsstau in deutschen Krankenhäusern beträgt laut dem Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) rund 50 Milliarden Euro. Damit innovative Technologien wie robotische Assistenzsysteme flächendeckend verfügbar werden, braucht es klare Strategien – technisch, finanziell und rechtlich.
„Wir stehen erst am Anfang einer Entwicklung, die in den nächsten Jahren stark beschleunigen wird“, so König. „Was heute noch im Labor getestet wird, könnte morgen schon klinischer Alltag sein – vorausgesetzt, wir sichern Qualität und Akzeptanz gleichermaßen.“

Ferngesteuerte Operationen

Der Blick in die Zukunft zeigt: Der Operationssaal könnte zu einem digitalen Kontrollraum werden, in dem Mensch und Maschine in enger Symbiose agieren. Anstelle klassischer OP-Planung tritt ein adaptives System, das präoperative Bilddaten, Echtzeit-Sensordaten und patientenspezifische Historien miteinander verknüpft und daraus dynamische Eingriffsstrategien generiert. Eingriffe würden so nicht mehr statisch vorbereitet, sondern kontinuierlich durch KI begleitet und optimiert.
KI-Systeme könnten etwa erkennen, ob ein Eingriff planmäßig verläuft oder ob sich eine unerwartete Komplikation anbahnt – und darauf basierend operative Alternativen vorschlagen. Auch die Fernsteuerung von Operationen gewinnt an Bedeutung: Durch KI-gestützte Analyse und präzise robotische Ausführung lassen sich Eingriffe künftig ortsunabhängig planen und durchführen. Gerade in strukturschwachen Regionen oder in Katastrophenszenarien bietet dies eine neue Dimension medizinischer Versorgung.

Kompetenzanforderungen steigen

„Entscheidend wird sein, dass wir die Systeme nicht nur technisch denken“, mahnt König. „Wir müssen auch die Auswirkungen auf Rollen, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten im Blick behalten – sonst droht Überforderung statt Entlastung.“
Langfristig wird sich die Rolle der Chirurgen verändern. Sie werden zu Koordinatoren eines hochkomplexen Systems, in dem Entscheidungen zwar vom Menschen getroffen, aber zunehmend datenbasiert vorbereitet werden. Damit steigen die Anforderungen an Ausbildung und digitale Kompetenz – nicht nur im Umgang mit der Technik, sondern auch im kritischen Hinterfragen algorithmischer Vorschläge. Gleichzeitig wird sich auch der Regulierungsrahmen weiterentwickeln müssen: Zulassungsverfahren, Datenschutzregeln und Haftungsfragen stehen vor grundlegenden Neujustierungen.
Axel Weber fasst zusammen: „Der Wandel wird nicht sprunghaft kommen, sondern schrittweise. Aber wir müssen die Weichen heute stellen, damit morgen sichere, integrierte und patientenzentrierte Systeme Realität werden.“

MedtecLIVE Healthtech Pavilion fördert den Transfer

Vom 24. bis 27. Juni 2025 bietet die MedtecLIVE mit dem Healthtech Pavilion auf dem renommierten Messe-Duo automatica und Laser World of Photonics in München eine Plattform für all jene, die diese Transformation mitgestalten. Der Gemeinschaftsstand fungiert dabei als Branchen-Vertical für die Medizintechnik – Entwickler und Zulieferer treffen hier auf eine Zielgruppe, die sich auf Automatisierung, Robotik und Photonik konzentriert. Ergänzt wird er durch den „MedtecSUMMIT meets automatica“ von Bayern Innovativ am 25. und 26. Juni.

„Mit der MedtecLIVE bilden wir die ganze Wertschöpfungskette in der Medizintechnik-Herstellung ab. Mit dem Healthtech Pavilion bringt die MedtecLIVE jetzt eine Anlaufstelle für Informationen von Herstellern und Dienstleistern des medizintechnischen Zulieferbereichs nach München“, sagt Silke Ludwig, Deputy Director MedtecLIVE. „Dabei liegt der Fokus auf Lösungen im Bereich Automatisierung, Robotik und Photonik – Zukunftstechnologien, die letztlich auch in effizienteren und zuverlässigen Prozessen im klinischen Alltag münden." 

Silke Ludwig, MedtecLIVE © NürnbergMesse

Silke Ludwig, MedtecLIVE © NürnbergMesse

Passgenaue Formate für die Medizintechnik-Branche  

Die MedtecLIVE ist die zentrale Leitmesse in Europa für die Entwicklung und Herstellung von Medizintechnik. Sie ist Teil einer Brand Family, die der Branche mehr als nur eine Messe bietet und sie durch ihr vielfältiges Angebot sowie ihr starkes Netzwerk und ihre Partner unterstützt, die Medizintechnik voranzutreiben. Dadurch entstehen gleich mehrere Plattformen an den Standorten Stuttgart, Nürnberg und München, auf denen die unterschiedlichsten Akteure der Branche passgenau ihre Zielgruppe treffen.

Ihre Kontaktperson

Georg Loichinger

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