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Medizinlabor statt Werkshalle: Wie der Maschinenbau neue Märkte erschließen kann

Andreas Traube vom Fraunhofer IPA forscht seit über 20 Jahren an innovativen Technologien für Labore – von präzisen Robotersystemen bis zu KI-gestützter Diagnostik. Im Interview mit MedtecLIVE erläutert er, warum Unternehmen aus dem Maschinenbau den Einstieg in die Labortechnik prüfen sollten.

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Nürnberg, Deutschland

Herr Traube, Sie haben 20 Jahre Erfahrung im Bereich der Laborautomatisierung. Woran forschen Sie gerade

Andreas Traube: Aktuell beschäftigen wir uns vor allem mit der End-to-End-Automatisierung von Laborprozessen. Viele Geräte arbeiten bislang noch als Insellösungen, die nicht durchgängig miteinander vernetzt sind. Ziel ist es, Roboterlösungen zu entwickeln, die flexibel mit den stark variierenden Probengefäßen und Prozessanforderungen umgehen können – inklusive Objekterkennung, selbstständiger Aufgabenanalyse und mobiler Einsatzfähigkeit innerhalb des Labors. Auch die Reduktion des Programmieraufwands durch KI ist ein zentrales Thema unserer Forschung.

Sie beraten Hersteller von Laborausrüstung sowie Labore. Wie läuft diese Zusammenarbeit ab?

Andreas Traube: Mit Endanwendern starten wir meist mit einer Analyse der bestehenden Prozesse, gefolgt von einer Wirtschaftlichkeitsbewertung und Konzeptentwicklung. Im Erfolgsfall entwickeln wir maßgeschneiderte Automatisierungslösungen. Bei Herstellern liegt der Fokus stärker auf grundlegenden Fragestellungen wie Kollaborationsfähigkeit, Objekterkennung oder Interaktion mit anderen Laborgeräten. In beiden Fällen sehen wir uns als Schnittstelle zwischen Technik und Anwendung.

Welche Technologien, die heute im Labor genutzt werden, haben Sie selbst entwickelt?

Andreas Traube: Eine meiner ersten Gründungen war die Firma Dispendix, die ein extrem schnelles Liquid-Handling-System im Nanoliterbereich entwickelt hat. Dieses System kam unter anderem während der Pandemie zum Einsatz, um große Mengen an Experimenten effizient durchzuführen. Es steht exemplarisch für die Vorteile automatisierter Laborsysteme: Miniaturisierung, Präzision und Geschwindigkeit.

Wie verändert Künstliche Intelligenz die Laborprozesse?

Andreas Traube: KI ist heute an vielen Stellen im Labor im Einsatz – etwa bei der Bilderkennung oder der Interpretation komplexer Daten. In Kombination mit Automatisierung entsteht ein wertvoller Datenpool, aus dem durch Machine Learning Prognosemodelle abgeleitet werden können. Generative KI ist in der Labordiagnostik derzeit noch keine Option – zu hoch ist das Risiko, dass fehlerhafte oder erfundene Informationen generiert werden. Das wäre eine Horrorvorstellung. Die nächsten Schritte liegen in der breiten Umsetzung klassischer KI-Anwendungen zur Prozessoptimierung.

Welche Fortschritte erwarten Sie in den nächsten Jahren in der Robotik?

Andreas Traube: Roboter werden zunehmend intelligenter und autonomer. Technisch ist es heute bereits möglich, dass Roboter viele Aufgaben übernehmen, die bislang Menschen vorbehalten waren – von der Handhabung bis zur Analyse. Statt fest installierter Stationen könnten Roboter auf mobilen Plattformen stehen und innerhalb des Labors als flexible Logistiksysteme genutzt werden. Solche mobilen Systeme könnten etwa Proben von einer Station zur nächsten transportieren, ohne dass menschliches Personal sich um diese Wege kümmern muss – ein Konzept, das bereits in ersten Pilotprojekten getestet wird. Entscheidende Fortschritte erwarte ich auch bei der intuitiven Bedienbarkeit, damit Laborpersonal ohne Programmierkenntnisse effizient mit Robotern arbeiten kann.

Warum sollten Industrieunternehmen aus anderen Branchen darüber nachdenken, in die Laborautomatisierung einzusteigen?

Andreas Traube: Die Laborautomatisierung ist ein Bereich mit enormem Potenzial, der von der klassischen Industrie oft unterschätzt wird. Unternehmen, die sich bisher auf Automatisierung in Bereichen wie der Automobilproduktion konzentriert haben, könnten hier neue Geschäftsfelder erschließen. Wir sehen immer wieder, dass Firmen, die den Schritt in die Medizintechnik wagen, langfristig davon profitieren – und bisher hat es keine bereut. Natürlich ist es eine Herausforderung, in eine regulierte Branche einzutreten, aber wir als Fraunhofer-Institut begleiten solche Prozesse und helfen, technologische Lösungen für Labore zu entwickeln. Gerade für den deutschen Maschinenbau könnte die Laborautomation ein Schlüsselbereich sein, um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu bleiben.

Können automatisierte Prozesse in den Laboren den Trend zur individualisierten Medizin fördern?

Andreas Traube: Definitiv. Die Präzision und Reproduzierbarkeit automatisierter Prozesse bilden die Grundlage für aussagekräftige Diagnostikdaten – und damit für personalisierte Therapieansätze. Durch die Kombination von Automatisierung und intelligenter Datenanalyse können Laborprozesse nicht nur effizienter, sondern auch stabiler und aussagekräftiger gestaltet werden.

Wie beurteilen Sie die Offenheit von Laboren und medizinischem Personal gegenüber neuen Automatisierungstechnologien?

Andreas Traube: Das ist sehr unterschiedlich. Ich kenne Labore, die sich ohne Automatisierung den Betrieb gar nicht mehr vorstellen können – und andere, die noch zögern, etwa aus Budgetgründen oder aufgrund fehlender technischer Expertise. Besonders Kliniklabore sind in der Automatisierung oft zurückhaltender, was vor allem mit den Kosten und dem Trend zur Zentralisierung von Diagnostikleistungen zusammenhängt. Generell lässt sich aber sagen: Labore, die frühzeitig in Automatisierung investiert haben, arbeiten heute effizienter und sind oft auch erfolgreicher.

Wie sieht für Sie das ideale Labor der Zukunft aus?

Andreas Traube: Ein ideales Labor ist eine Umgebung, in der Proben zügig und fehlerfrei verarbeitet werden – unabhängig davon, ob Prozesse manuell oder automatisiert ablaufen. Ziel ist die verlässliche Übersetzung physischer Proben in diagnostisch relevante Informationen. Mensch und Maschine arbeiten hier Hand in Hand: Roboter und KI unterstützen als Werkzeuge, die Verantwortung für die diagnostische Aussage bleibt aber beim Menschen – und das wird auch regulatorisch so bleiben.
Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person

Andreas Traube leitet den Geschäftsbereich Gesundheitsindustrie und Life Sciences am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA). Er studierte Maschinenbau und beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit der Automatisierung von Laborprozessen. Sein Schwerpunkt liegt auf der angewandten Forschung, die darauf abzielt, innovative Technologien in die Praxis zu überführen. Neben seiner Tätigkeit am Fraunhofer IPA ist er mehrfacher Unternehmensgründer im Bereich der Labortechnik und hat unter anderem Firmen mitgegründet, die sich auf automatisierte Dosiersysteme und Laborgeräte spezialisiert haben. 

Andreas Traube

Passgenaue Formate für die Medizintechnik-Branche

Die MedtecLIVE ist die zentrale Leitmesse in Europa für die Entwicklung und Herstellung von Medizintechnik. Sie ist Teil einer Brand Family, die der Branche mehr als nur eine Messe bietet und sie durch ihr vielfältiges Angebot sowie ihr starkes Netzwerk und ihre Partner unterstützt, die Medizintechnik voranzutreiben. Dadurch entstehen gleich mehrere Plattformen an den Standorten Stuttgart, Nürnberg und München, auf denen die unterschiedlichsten Akteure der Branche passgenau ihre Zielgruppe treffen.

 

Ihre Kontaktperson

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Andreas Traube

Abteilungsleiter Laborautomatisierung und Bioproduktionstechnik
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