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Interview MedtecLIVE 2024

Interview zu PFAS: „Es ist entscheidend, dass dieses Thema von Industrie und Politik ernsthaft berücksichtigt wird“

Forschende des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE) haben im Rahmen der „Rheinland Studie“ beunruhigende Erkenntnisse über die Verbreitung von PFAS im Blut und mögliche gesundheitliche Folgen gewonnen. Wir sprachen darüber mit Studienleiterin Monique M. B. Breteler.

Frau Professor Breteler, was ist das Neue an Ihren jüngsten Forschungsergebnissen?

Monique Breteler: Unsere Daten zeigen einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen PFAS-Chemikalien im menschlichen Blut und ungesunden Blutfettprofilen, die mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen einhergehen. Dieser Befund basiert auf Daten von mehr als 2.500 Erwachsenen aus Bonn und der niederländischen Gemeinde Leiderdorp. Im Blut nahezu aller Studienteilnehmenden waren PFAS nachweisbar. Je höher der PFAS-Spiegel, desto höher war die Konzentration der schädlichen Lipide. Strenggenommen ist dies noch kein endgültiger Beweis dafür, dass PFAS die Verursacher der ungünstigen Fettprofile sind, doch die enge Korrelation stützt diesen Verdacht.

Haben Sie diese so erwartet? Macht Sie das persönlich betroffen?

Monique Breteler: Wir haben eine Verbindung zwischen PFAS und negativen gesundheitlichen Implikationen vermutet, aber das Ausmaß und die Deutlichkeit der Ergebnisse haben uns dennoch überrascht. Ich hätte nicht erwartet, dass wir bei allen Beteiligten hohe PFAS-Werte feststellen – bei jüngeren genauso wie bei älteren! Persönlich macht es mich betroffen, da es zeigt, wie weitverbreitet und tiefgreifend die Auswirkungen von PFAS sind.

Wie hat die Öffentlichkeit auf Ihre Forschung reagiert? Sind wir gegenüber dem Thema sensibel genug?

Monique Breteler: Die Meldung über unsere Forschung war tagelang und in mehreren großen Medien deutschlandweit und international vertreten. Es ist tatsächlich wichtig zu betonen, dass die Erkenntnisse über die gesundheitsschädlichen Auswirkungen von PFAS nicht neu sind. Zahlreiche Studien haben inzwischen nachgewiesen, dass PFAS auf verschiedene Weise negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Angesichts dieser Erkenntnisse ist es unerlässlich, dass wir als Gesellschaft noch sensibler für diese Risiken werden.

Deshalb freuen wir uns, dass unsere Veröffentlichung weitere Diskussionen mit Politikern und Gesetzgebern ausgelöst hat, und werden unsere Verantwortung wahrnehmen, diese Diskussionen weiterzuführen. In der Zwischenzeit setzen wir unsere Forschung fort, um weitere relevante Daten zu generieren, die die gesellschaftliche Debatte steuern und unterstützen. Es ist entscheidend, dass dieses Thema weiterhin zunehmende öffentliche Aufmerksamkeit erhält und von Industrie und Politik ernsthaft berücksichtigt wird.

PFAS sind nach wie vor in vielen Produkten enthalten. Können Menschen hierzulande ihre persönliche PFAS-Belastung und die ihrer Kinder gezielt reduzieren?

Monique Breteler: Die persönliche Belastung durch PFAS lässt sich nur bis zu einem gewissen Grad selbst steuern. Einzelpersonen können zum Beispiel bewusst auf die Zusammensetzung der Materialien achten, die sie im Alltag verwenden. Dies betrifft unter anderem Verpackungsmaterialien für Lebensmittel, Antihaftbeschichtungen bei Pfannen oder die Imprägnierung von Outdoor-Kleidung, die PFAS enthalten können. Allerdings sind PFAS auch im Trinkwasser und in Lebensmitteln nachgewiesen worden, was zeigt, dass sie inzwischen allgegenwärtig sind. Es ist daher unmöglich, sich vollständig vor einer PFAS-Belastung zu schützen. Deshalb muss dieses Thema auf politischer und legislativer Ebene angegangen werden.

Ein Komplett-Verbot von PFAS ist in der Diskussion. In der Industrie, auch in der Medizintechnik, wird das sehr kritisch gesehen. Alternativen scheinen nicht ausreichend zur Verfügung zu stehen. Wie kann dieses Dilemma aufgelöst werden?

Monique Breteler: Zuerst ist es essenziell zu erkennen, dass PFAS ernstzunehmende gesundheitliche Auswirkungen haben, die nicht einfach ignoriert werden dürfen. Das bedeutet aber nicht, dass PFAS nicht auch positiv genutzt werden können. Um das Dilemma zu lösen, ist ein ausgewogener Ansatz erforderlich, der sowohl die Gesundheitsrisiken von PFAS ernst nimmt als auch die Erfordernisse zum Beispiel der medizintechnischen Produktion berücksichtigt.

In den meisten Anwendungsbereichen sollte zukünftig auf die Verwendung dieser persistenten Chemikalien verzichtet werden. Dies erfordert eine kritischere Untersuchung bestehender Produkte und ein Umdenken in der Produktentwicklung. Besonders bei den neueren PFAS-Verbindungen, die noch nicht lange in Umlauf sind, fehlt es noch an umfassender Forschung zu den gesundheitlichen Auswirkungen. Die Tatsache, dass eine Schädlichkeit der neuartigen PFAS-Verbindungen aktuell nicht belegt ist, bedeutet nicht, dass sie unschädlich sind. Daher ist es von großer Bedeutung, die Auswirkungen von PFAS auf die Gesundheit weiterhin intensiv zu erforschen.

Für die Industrie sollten diese Forschungsergebnisse ein Ansporn sein, Materialien zu entwickeln, die das Leben der Menschen verbessern, ohne ihre Gesundheit zu beeinträchtigen. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Industrie, Wissenschaft und Regulierungsbehörden ist dabei unerlässlich, um nachhaltige Lösungen zu finden, die sowohl die Umwelt als auch die Gesundheit schützen.

Vielen Dank für das Gespräch!


Zur Person

Prof. Dr. Dr. Monique M. B. Breteler ist Direktorin für Populationsbezogene Gesundheitsforschung am DZNE in Bonn. Sie erforscht die Ursachen neurodegenerativer und zerebrovaskulärer Erkrankungen sowie die Grundlagen für gesundes Altern. Im Mittelpunkt ihrer Forschung steht die Veränderung des Gehirns im Verlauf des Lebens. Breteler hat maßgeblich dazu beitragen, Alzheimer als komplexe und vielschichtige Krankheit zu verstehen. Seit den frühen 1990er-Jahren hat Breteler außerdem die Entwicklung großangelegter Bevölkerungsstudien maßgeblich vorangetrieben. Sie leitet die 2016 gestartete Rheinland Studie am DZNE in Bonn. Breteler ist Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Königlich Niederländischen Akademie der Künste und Wissenschaften.