Trendreport

Eine Reise durch das Herz der Medtech-Branche

Will ein Medtech-Investor im deutschsprachigen Raum investieren, hat er die Qual der Wahl. Besonders der Süden hat einiges zu bieten. Marktführende Unternehmen entspringen der Region, viele Forschungseinrichtungen und eine quirlige Start-up-Szene prägen die Branche zwischen Elbe und Bodensee.

Die Reise beginnt: Eierschecke, Striezelmarkt und Medtech

Startpunkt ist Dresden, die Hauptstadt im Bundesland Sachsen mit etwa vier Millionen Einwohner*innen. Ein Cluster, in dem viel los ist. Der gesamtsächsische Verband biosaxony verbindet Mitglieder aus der Biotechnologie, Medizintechnik und Gesundheitswirtschaft. Der in der Landeshauptstadt ansässige Verband ist aber auch an dem zweiten Standort Leipzig sehr aktiv. „Dresden ist ein toller Wissenschaftsstandort mit der Medizintechnik und den Ingenieurwissenschaften, in Leipzig schlägt aber das wirtschaftliche Herz der Lebenswissenschaften Sachsens“, so André Hofmann, Geschäftsführer von biosaxony. Entstanden ist der Verband im Jahr 2009 aus der Biotechnologie-Offensive Sachsen, 2016 kam der Fokus Medizintechnik hinzu.

Die 136 Mitglieder sind Unternehmen, Zulieferer, Forschungseinrichtungen und Interessenvertreter, deren Standorte sich nicht nur auf Sachsen beschränken. „Wer bei unseren Schwerpunktthemen mit uns zusammenarbeiten möchte, ist jederzeit herzlich willkommen“, sagt Hofmann. Viele wissenschaftliche Institute, Hochschulen und Universitäten in der Region sorgen für einen großen Anteil an qualifizierten Fachkräften, die gemeinsam mit der Forschung permanent an der Entwicklung von Innovationen arbeiten.

Dadurch haben sich bereits viele Medizintechnikunternehmen in Sachsen angesiedelt. Auch im globalen Markt wird aus dem Cluster mitgemischt. Hofmann erzählt: „Besonders stolz sind wir natürlich, die modernste Produktionsstätte für Dialysatoren von B. Braun hier zu haben.“ Ein weltweit führender Hersteller, wenn es um Medizintechnik, Pharmaprodukte oder Dienstleistungen geht. Besonders spannend sind innovative Entwicklungen für Patienten, so wie es Sonovum in Sachsen geschafft hat. Das Unternehmen hat eine Art Stirnband entwickelt, das mithilfe von modernster Ultraschalltechnologie z. B. Schlaganfälle und deren Ursache erkennen kann. Sachsen charakterisiert sich durch eine attraktive Medtech-Umgebung.

Auch mit Blick auf Start-ups zeigt sich das Medtech-Cluster von einer starken Seite: Viele spannende Entwicklungen stehen kurz vor dem Markteintritt oder haben diesen Schritt unlängst bereits gemeistert. Die Themen der Start-ups sind vielfältig: Next3D gründet demnächst im Fachgebiet 3D-Druck, eCovery ist der Physiotherapeut für die Hosentasche oder DOCYET ist eine digitale Anwendung, die Patienten unterstützt, Entscheidungen bei Gesundheitsfragen zu treffen und die Zuweisung in Gesundheitseinrichtungen verbessert.

Ein aktuelles Projekt ist der Virtual Accelerator for Smart Data, Medical Devices and Therapies für Start-ups, der gemeinsam mit dem Leipzig Heart Institute ins Leben gerufen wurde, um den Markteintritt gründender Unternehmen zu unterstützen und Innovationen zu fördern.

Bei der ‚MedtecLIVE with T4M‘ werden biosaxony und einige Mitglieder des Verbands präsent vor Ort sein – auch um ihren Accelerator MEDICAL FORGE zu bewerben. „Auf die Veranstaltung freuen wir uns, die steht schon im Kalender“, so Hofmann. So viel zum Medtech-Cluster Sachsen – nur drei Stunden entfernt wirbt die Metropolregion Nürnberg um Medizintechnik-Investoren.

Nächster Halt: Die Stadt der Lebkuchen, Bratwürstchen und Medizintechnik

Angekommen, in der zweitgrößten Stadt Bayerns mit ihren 520.000 Einwohner*innen. Hier hat auch der Veranstalter der MedtecLIVE, die NürnbergMesse GmbH, ihr Zuhause. Die Metropolregion Nürnberg ist ein Zusammenschluss von etwa 55 Städten, die einen großen Teil von Nordbayern umfassen. Medical Valley heißt eines der international führenden Medizintechnik-Cluster, das „bereits seit 2007 als Cluster-Organisation fungiert“, erzählt Jörg Trinkwalter, Geschäftsleitung des Medical Valley. Daraus entstand ein Kreislauf, von dem Wissenschaft und Forschungspartner profitierten und auf dessen Basis eine Zulieferindustrie aufgebaut wurde.

Heute hat der Verband vier Standorte und um die 230 Mitglieder, die zum größten Teil Unternehmen, aber auch Forschungseinrichtungen und Versorger umfassen. „Im Endeffekt sind wir ein branchenfokussierter Wirtschaftsförderer mit dem Ziel, die verschiedenen Komponenten in der Medizintechnik zu vernetzen und beispielsweise bei Zertifizierungen, Kostenerstattungen, Internationalisierung, Forschungsprojekten oder Entwicklungen von Innovationen zu unterstützen“, so Trinkwalter. Neben dem Verband gibt es auch noch die Medical Valley GmbH, die zum Beispiel Firmenbeteiligungen eingehen kann. Diese entwickelte in Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen das dmac (Digital-Medizinisches Anwendungs-Centrum), wo Digital Health Produkte unterstützt und gefördert werden.

Wirft man einen Blick auf angesiedelte Unternehmen, fällt eines direkt auf: Hier gibt es einige Global Player wie Siemens Healthineers oder Ziehm Imaging und zahlreiche innovative Start-ups. „Viele der Hotspots für Medizintechnik liegen in Süddeutschland. Wir haben hier eine hochattraktive Forschungsszene mit einer hohen Konzentration an Lehrstühlen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die sich auf Medizintechnik fokussiert haben, außerdem liegt ein Top-Industrienetzwerk für die Branche vor“, erklärt Trinkwalter. Viele Kriterien machen diese Region sehr attraktiv für Neugründungen.

Das zieht auch viele Unternehmen an. Siemens Healthineers ist eines der Top Medizintechnikunternehmen der Welt und wurde in der Medical Valley-Region gegründet. Im Bereich C-Bögen gibt es Ziehm Imaging „Global Player und Hidden Champion, würde ich sagen“, schätzt Trinkwalter das Unternehmen ein. Auch Novartis Pharma, an der Schnittstelle zu Diagnostik und Medizin, hat seinen Sitz in der Metropolregion Nürnberg gefunden. Die Liste scheint endlos und es kommen auch immer wieder neue Unternehmen dazu. Einige Start-ups sind gerade auf dem Weg Richtung Markteintritt, zum Beispiel im Bereich Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA): „Da haben wir beispielsweise Portabiles HealthCare Technologies, die bald ein Unternehmen für DiGA wird, ProCarement, ebenfalls bald ein DiGA-Unternehmen“ berichtet Trinkwalter. Um solch junge Unternehmen im Markt zu fördern, erhalten einige anwendungsorientierte Projekte über den Medical Valley Award die Möglichkeit, finanziell großzügig unterstützt zu werden. Einige der Start-ups haben sich bereits am Start-up Award der MedtecLIVE beteiligt, um Feedback von Branchenexperten, aber nicht zuletzt um ein attraktives Preisgeld zu gewinnen.

Das Medial Valley ist außerdem Mitgründer des europäischen Netzwerks EIT-Health, eines der größten Netzwerke, die es im Gesundheits- und Medtech-Bereich weltweit gibt. Besonders starke Kooperationen liegen aber mit Österreich und der Schweiz vor, so Trinkwalter: „Fast alle Lifescience-Cluster der DACH-Region arbeiten zusammen.“ Aber nicht nur in Europa ist der Verein aktiv – Kernkooperationspartner befinden sich in den USA, Kanada, China und Japan.

Vernetzungen und Networking sind ein wichtiger Bestandteil eines funktionierenden und wachsenden Medizintechnik-Marktes. Umso besser ist es, dass „die ‚MedtecLIVE with T4M‘ als europäisches Event der Medizintechnik-Branche im Frühjahr alle wichtigen Akteure vereint und miteinander in Kontakt bringt“, so Boss. Weiter geht es Richtung Süden: Nach vier Stunden erreicht man Tuttlingen im Schwarzwald.

Nächster Halt: Wo Spätzle, Sparfüchse und Medtech-Brains Zuhause sind

Die Türen öffnen sich und eine kleine Stadt mit 35.000 Einwohner*innen begrüßt Sie herzlich: Tuttlingen. Hier ist Medical Mountains beheimatet, ein Netzwerk-Cluster, das Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Co. im Raum Baden-Württemberg und überregional führt. Es wurde 2010 durch die öffentliche Hand gegründet, um die Region zu unterstützen. Denn hier ist viel los: „Betrachtet man Deutschland, sieht man in Baden-Württemberg in der Medizintechnik einen klaren Schwerpunkt mit dem Epizentrum in Tuttlingen. Knapp die Hälfte der Unternehmen aus der Medizintechnik-Branche aus dem Bundesland sitzen hier in Tuttlingen“, erzählt Yvonne Glienke, Geschäftsführerin der Medical Mountains.

Die Struktur der Region ist bunt. Baden-Württemberg zählt knapp 49.000 Mitarbeiter*innen in der Medizintechnik-Branche, rund die Hälfte der Unternehmen beschäftigen aber weniger als zehn Personen. „Den Kern machen bei uns Klein-, Familiengeführte- und mittelständische Unternehmen aus“, beschreibt Glienke. Aber auch internationale Global Player wie Karl Storz aus dem Endoskopie-Bereich sind dabei. Die Unternehmen kommen dabei aus den verschiedensten Bereichen, wobei ein Schwerpunkt bei chirurgischen Instrumenten erkennbar ist. Glienke hält fest: „Wer im Herzen der Medizintechnik von Europa sein möchte, der sollte in den süddeutschen Raum kommen. Hier ist die Medizintechnik Zuhause und hier sind die Besten der Besten.“

Viele der Unternehmen sind familiengeführt, was jedoch nicht heißt, dass diese bei neuen Entwicklungen nicht vorne mit dabei sind: „Tradition schließt Innovation nicht aus. Ganz im Gegenteil, sie befürwortet diese sogar“, so Glienke. Die meisten Entwicklungen entstehen firmenintern – Start-ups gibt es in dieser Region nicht übermäßig viele. Durch den hohen Anteil an bereits vorhandenen Medizintechnikunternehmen gibt es für Absolventen sehr gute Beschäftigungsmöglichkeiten. Trotz der geringen Zahl an Start-ups arbeiten die Medical Mountains mit Gründern aus ganz Deutschland zusammen, um Technologien voranzutreiben und das Netzwerk auszubauen.

Aber nicht nur in Deutschland pflegen die Medical Mountains Kooperationen: Durch die geografische Nähe zur Schweiz sind auch dort viele Mitglieder angesiedelt. Dass es eine Grenze zwischen den Ländern gibt, vergisst man oft, denn in Tuttlingen ist es Normalität, mal schnell in die Schweiz zu fahren. Das Netzwerk reicht aber noch weiter Richtung Norden: Eine besondere und einige Jahre laufende Kooperation haben die Medical Mountains nach Finnland in die Region Oulu, mit denen sie schon einige Projekte zur Zusammenarbeit der Unternehmen gestartet haben, wie zum Beispiel Delegationsreisen in die High-Tech-Partnerregion.

Für die Tuttlinger ist es eine große Freude, dass die ‚MedtecLIVE with T4M‘ im Frühjahr 2022 in Stuttgart als eine große gemeinsame Messe stattfinden wird: „Wir haben uns von Anfang an gewünscht, dass es nur ein großes Event im Herzen der Medizintechnik, in Süddeutschland, gibt. So müssen wir uns nicht entscheiden“, erklärt Glienke. Die Medical Mountains freuen sich ebenso wie biosaxony und das Medical Valley auf die Veranstaltung, die abwechselnd in Stuttgart und in Nürnberg stattfindet.

Die Reise geht weiter. Das nächste Medtech-Cluster ist eine Stunde entfernt im Dreiländereck: Konstanz am Bodensee.

Nächster Halt: Neben Österreich und Schweiz am Medizintechnik-Strand

BioLAGO ist das Netzwerk für die Gesundheitswirtschaft, das, wie der Name vielleicht schon verrät, direkt am Bodensee in Konstanz, einer Stadt mit rund 85.000 Einwohner*innen, liegt. Dessen Mitglieder kommen nicht nur aus Baden-Württemberg, viele sind auch in der Schweiz oder in Österreich ansässig. Somit sind in der Bodensee-Region um die 49.000 Mitarbeitende in der Medizintechnik-Branche aktiv.

Was die Region so besonders macht? Eva Botzenhart-Eggstein, Projektleiterin des Gesundheitsnetzwerks BioLAGO, erklärt: „Die Vierländerregion Bodensee zeichnet sich durch eine Vielzahl innovativer kleiner und mittelständischer Unternehmen in der Gesundheitsbranche aus. Diese werden ergänzt durch hervorragende Hochschulen, wie zum Beispiel die Exzellenzuniversität Konstanz, die in der Region für hoch qualifizierten wissenschaftlichen Nachwuchs sorgen.“ Außerdem hat die Region ein dynamisches Umfeld, in dem die Entwicklung von Innovationen stets gefördert und vorangetrieben wird sowie eine starke Wirtschaftskraft als Grenzregion zu Österreich und der Schweiz besteht. Durch die geografische Lage kann der Marktzugang bis nach Italien ermöglicht werden.

Die vielfältigen Medizintechnikunternehmen in der Region bereichern die Branche durch innovative Entwicklungen. So zum Beispiel die StimOS GmbH aus Konstanz, die neuartige Implantatmaterialien und Implantat-Oberflächen erforscht und entwickelt. Forschungsschwerpunkte des Unternehmens sind Oberflächenveredelung und Funktionalisierung, Bioaktivierung, Wirkstofftransport und Next-Generation-Implantatmaterialien. Die StimOS GmbH setzt sich für die schnellere und stabilere Einheilung von Implantaten ohne entzündliche Reaktionen oder sonstigen Komplikationen ein. „Die StimOS GmbH setzt hier neue Standards, das finde ich bemerkenswert“, so Eva Botzenhart-Eggstein. Ein weiteres innovatives Unternehmen ist die MTS Medical UG, ein Medizintechnikhersteller, der Schallwellen nutzt, um Erkrankungen oder Beschwerden zu behandeln. Insbesondere in den Fachgebieten Orthopädie, Traumatologie, Wundheilung und Urologie wird das Therapiesystem im internationalen Raum eingesetzt.

BioLAGO ist Teil eines Konsortiums von insgesamt 16 deutschlandweiten Partnern im Innovationsprojekt AIQNET. In dem vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Projekt entsteht ein offenes, digitales Ökosystem, das es in Zukunft erlauben soll, medizinische Daten mithilfe von künstlicher Intelligenz austauschbar und damit für Forschung, Diagnose und Behandlung nutzbar zu machen. Ziel ist es, möglichst viele Medizintechnik-Experten entlang der gesamten Wertschöpfungskette in das Ökosystem einzubinden, um einen weltweiten Austausch klinischer Daten unter höchsten technischen Sicherheitsstandards zu ermöglichen. „AIQNET ist ein großartiges Projekt, weil es für eine langfristige Verbesserung der Patientensicherheit und eine Weiterentwicklung innovativer Medizinprodukte sorgt. Eine Herzensangelegenheit von mir“, erzählt Botzenhart-Eggstein. Hier schließt sich der Kreis wieder, auch die Medical Mountains sind ebenfalls bei der Aktion beteiligt.

Dass die ‚MedtecLIVE with T4M‘ im kommenden Frühjahr in Stuttgart als ein großes Event startet, findet auch bei BioLAGO großen Zuspruch: „Ich persönlich finde es klasse! Ich freue mich auf ein spannendes Event, das Medizintechnik-Experten unterschiedlicher Bereiche erfolgreich zusammenbringen wird“, so Eva Botzenhart-Eggstein abschließend.

Christopher Boss freut sich über die große Zustimmung: „Die ‚MedtecLIVE with T4M‘ bringt die Medtech-Community Europas noch näher zusammen und setzt, dank ihrer einzigartigen Ausrichtung auf Zukunftsthemen, Innovationsimpulse für die ganze Branche.“

 


Über MedtecLIVE with T4M

Die Messe MedtecLIVE with T4M ist das führende europäische Frühjahrs-Event der Medizintechnik und findet jährlich abwechselnd in Stuttgart und Nürnberg statt. Die Veranstaltung deckt die gesamte Wertschöpfungskette ab und verbindet dabei die wichtigsten Medizintechnikregionen in Deutschland. Hier treffen Entscheider der Inverkehrbringer und OEMs auf die wichtigsten Zulieferer der Medizintechnik.