Durchatmen mit System: Breathment denkt die Versorgung von COPD- und Asthmapatienten neu
Atemwegserkrankungen wie COPD (chronic obstructive pulmonary disease) und Asthma sind weltweit auf dem Vormarsch. In Deutschland sind 15 Millionen Menschen betroffen. Das Start-up Breathment kombiniert künstliche Intelligenz und physiotherapeutische Begleitung zu einem neuartigen Versorgungskonzept.
Die Geschichte von Breathment beginnt während der Pandemie im Jahr 2021 – bei der Vorbereitung auf einen Hackathon an der Technischen Universität München. Yalvaç Top, einer der Gründer, telefoniert mit seiner Mutter. Sie hat im Fernsehen gesehen, dass Covid-Infizierten Atemübungen empfohlen werden, um ihre Lungenfunktion zu stärken. Ihr Problem: Sie weiß nicht, wie man das richtig macht. „Das ist ja kein Klimmzug oder keine Kniebeuge“, sagt sie.
Dieser Satz wird zum Startpunkt. Yalvaç Top und sein Mitgründer Elçin Can Çavuşoğlu entwickeln während des Hackathons einen ersten Prototyp: eine Software, die mithilfe der Smartphone-Kamera Atemmuster erkennt – ohne zusätzliche Sensorik. Kurz darauf stößt Baturay Yalvaç zum Team. „Ein gemeinsamer Bekannter aus der türkischen Community in München hat uns zusammengebracht“, berichtet er. „Er wusste, dass ich aus dem Medizintechnikbereich komme. Und so sind wir zusammengewachsen – seit fast vier Jahren jetzt.“
Das Gründerteam (v. l.): Baturay Yalvaç, Yalvaç Top, Elçin Can Çavuşoğlu © Breathment GmbH
Digitale Plattform für chronische Lungenkrankheiten
Heute ist aus dem Hackathon-Prototyp eine umfassende digitale Plattform geworden. Breathment beschreibt sich selbst als „Gesundheitsplattform für Atemwegserkrankungen“. Die Lösung besteht aus zwei eng verknüpften Komponenten: einer mobilen App für Patienten und einem Team aus Physiotherapeuten.
Die App bietet Schulungen, Atemtherapieprogramme, Meditationsvideos, Medikamententracking, Symptomtagebuch, Chatfunktion und Videosprechstunden. Die Übungen werden per Kamera erfasst – Künstliche Intelligenz analysiert dabei Atembewegung, Mobilität, Körperhaltung und Übungsqualität in Echtzeit. „Die Patienten werden von der App angeleitet und unsere Therapeuten können erkennen: Wo gibt’s Schwierigkeiten? Wo läuft es gut?“, erklärt Baturay.
Parallel arbeitet das eigene medizinische Team, bestehend aus angestellten und freiberuflichen Physiotherapeuten, mit den Patienten – individuell, hybrid und jederzeit erreichbar. „Gerade bei COPD sind viele Betroffene älter, haben soziale Ängste oder leben isoliert“, sagt Baturay. „Für sie ist es zentral, eine feste Bezugsperson zu haben – bei uns bekommen sie diese.“
Markt mit hoher Krankheitslast und wenig Innovation
Dass es für digitale Lösungen im Bereich Atemwegserkrankungen bislang kaum Anbieter gibt, hat die Breathment-Gründer überrascht – und motiviert. „Es gibt unzählige Start-ups für mentale Gesundheit, Schlafstörungen, Diabetes oder Bluthochdruck. Aber bei Lunge? Da ist kaum etwas.“ Dabei seien gerade COPD und Asthma nicht nur medizinisch hochrelevant, sondern auch wirtschaftlich ein massiver Faktor: sie verursachen hohe Krankenhauskosten, Arbeitsunfähigkeit, Frühverrentung.
Breathment setzt dabei auf ein hybrides Versorgungsmodell – und verzichtet bewusst auf den DiGA-Weg. „Wir wollten flexibel bleiben“, sagt Baturay. „Eine DiGA muss statisch sein – jede Änderung braucht ein neues Prüfverfahren. Aber wir entwickeln unsere Plattform ständig weiter – neue Indikationen, neue Funktionen, neue Partner.“
Patentierte Technologie
Technologisch basiert Breathment auf einer KI-Analyse, die den Körper allein per Kamera erfasst. Die Bewegung des Brustkorbs, die Atemfrequenz, die Mobilität – all das wird in Echtzeit ausgewertet. Der Clou: Es braucht keine zusätzlichen Sensoren oder Geräte. Die KI reagiert direkt, gibt Feedback, verbessert Übungen und erstellt Analysen für die Therapeuten.
Diese Technologie wurde inzwischen als Patent angemeldet. Sie zu nutzen, ist auch für Medizintechnikproduzenten eine interessante Möglichkeit. Für Unternehmen, die keine eigene digitale Infrastruktur haben, ist das ein Gewinn: „Wir arbeiten zum Beispiel mit einem Hersteller zusammen, der Geräte zur Sekretlösung anbietet – rein mechanisch, ohne Sensorik. Über unsere Plattform kann er jetzt sehen, ob und wie sein Produkt genutzt wird – und das auch gegenüber den Kassen belegen“, erklärt Baturay.
Eine Plattform für viele: Versicherer, Patienten, Industriepartner
Breathment verfolgt ein breit aufgestelltes Geschäftsmodell mit mehreren Kundengruppen: Krankenkassen, Pharmaunternehmen, Medizintechnikhersteller. Im Gegensatz zu vielen Start-ups, die ausschließlich auf eine Erstattung durch gesetzliche Krankenversicherungen setzen, positioniert sich Breathment als Plattformanbieter mit flexibel anpassbaren Patientenreisen.
„Wir bauen echte Versorgungskonzepte – mit Coaching, digitalen Inhalten, KI-Feedback und Monitoring“, sagt Baturay. „Und wir können das für ganz verschiedene Partner anpassen – zum Beispiel für Krankenkassen, die bessere Ergebnisse sehen wollen, oder für Pharmaunternehmen, die die Therapietreue verbessern möchten.“
Seit Anfang 2024 ist Breathment offiziell als Medizinprodukt zugelassen. Erste Verträge mit Krankenkassen wurden geschlossen, weitere befinden sich in Vorbereitung. So wird eine große Schweizer Kasse bald einsteigen – ein wichtiger Schritt in Richtung Internationalisierung.
Beim Medtec Summit 2025 in Nürnberg konnten sich Baturay Yalvaç und Elçin Can Çavuşoğlu über den Gewinn des Start-up Pitch Contests freuen. © Breathment GmbH
Lungenkrebs: Körperlich fit durch digitale Therapie
Aktuell liegt der Fokus noch auf Asthma und COPD, aber weitere Indikationen sind bereits in Arbeit. Als Nächstes kommt Lungenkrebs – speziell für Patienten vor einer Operation. „Viele sind geschwächt, verlieren Gewicht und Muskelmasse. Unsere Programme zielen darauf, sie vor der OP fit zu machen – körperlich, mental, edukativ. Das kann die Prognose deutlich verbessern“, so Baturay.
Weitere seltenere Lungenkrankheiten sollen folgen. Die langfristige Vision: eine Plattform, die alle Menschen mit Atemwegserkrankungen begleitet – digital, professionell, flexibel.
Ausbau von Kooperationen
Obwohl es mittlerweile ein paar Wettbewerber gibt, sieht Baturay sein Team gut positioniert. „Wo wir besser sind, ist das Management und Coaching der Patienten. Viele Telemonitoring-Anbieter setzen noch gar nicht auf echtes Coaching – wir tun das. Und mit dem Start unseres Telemonitoringprogramms sind wir technologisch und therapeutisch sehr gut aufgestellt.“
Rund 400 Patientinnen und Patienten nutzen die Plattform bereits – Tendenz steigend. Kooperationen mit Kliniken (unter anderem Asklepios Gauting, Uniklinik Regensburg) sollen weiter ausgebaut werden. Und auf den eigenen Social-Media-Kanälen sowie über die Website gewinnt Breathment Selbstzahler.
Der nächste (Atem)-Zug
Breathment will wachsen – in Deutschland, aber auch international. Bis 2026 sollen weitere europäische Märkte erschlossen werden. Die Botschaft bleibt dabei dieselbe: „Atemwegserkrankungen sind global unterversorgt – wir wollen das ändern.“
Mit einem KI-gestützten System, das den Patienten begleitet. Mit einer Plattform, die Therapie, Technik und persönliche Ansprache verbindet. Und mit einem Gründerteam, das gezeigt hat: Gute Ideen beginnen manchmal mit einem Anruf der Mama.
Breathment GmbH |
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Gründungsjahr |
2021 |
Sitz |
79206 Breisach am Rhein |
Gründer |
Yalvaç Top, Elçin Can Çavuşoğlu, Baturay Yalvaç |
Anzahl Mitarbeiter |
10 |
Website |