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Serie Start-ups: Vibrationen im Körper weisen dem Operateur den Weg

Wenn die Nadel bei minimalinvasiven Eingriffen gegen Gewebe im Körper drückt, entstehen Vibrationen. Intelligente Sensoren können diese winzigen Erdbeben an den Operateur zurückmelden und ihn lenken. Mit diesem Ansatz will das junge Start-up Surag Medical OPs sicherer und kostengünstiger machen.

Minimalinvasive Eingriffe haben sich längst etabliert. Weltweit werden rund 20 Millionen Nadelinterventionen pro Jahr durchgeführt, zusätzlich rund 4 Millionen Knie arthroskopisch behandelt. Das Schöne daran für die Patienten: Solange Komplikationen ausbleiben, verursacht die Operationsmethode weniger Schmerzen, die Genesung verläuft schneller und es bleiben keine unschönen Narben zurück. Für die ausführenden Ärzte bedeutet das Verfahren, dass sie ihre Nadeln in vielen Fällen ohne Sicht und technische Hilfestellung sehr präzise zum Beispiel in der Wirbelsäule platzieren müssen. Dabei sind sie auf ihren Tastsinn und ihre Erfahrung angewiesen. Es kann zu Fehlern und damit zu Komplikationen kommen.

„Duell der ruhigen Hände“

Wer einmal „Doktor Bibber“ gespielt hat, weiß, wie leicht bei einer Operation ein „Autsch-Alarm“ ausgelöst werden kann. Bei dem bekannten Brettspiel, dem „Duell der ruhigen Hände“ laut Hersteller-Werbung, schlüpfen Kinder in die Rolle des Doktors.

Daran, dass bei minimalinvasiven OPs in der Welt der Erwachsenen alles gut verläuft, sozusagen ohne „Autsch-Alarm“, arbeiten die Gründer der Surag Medical GmbH: Moritz Spiller und Alfredo Illanes (beide CEO), Nazila Esmaeili (CSO) und Thomas Sühn (CTO). Die Technologie von Surag – ein Kunstwort auf „Surgical Audio Guidance“ – macht eine nicht-invasive und kontinuierliche Überwachung von minimal-invasiven Eingriffen möglich, die sie präziser machen und die Patientensicherheit erhöhen kann.

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Das Gründerteam (v. l.): Moritz Spiller und Alfredo Illanes (beide CEO), Nazila Esmaeili (CSO) und Thomas Sühn (CTO) ©Hans-G. Unrau, Unrau Fotografie

Die Technik basiert auf der Nutzung von vibroakustischen Signalen, die während des Eingriffs im Instrument erzeugt werden und per Lautsprecher in den Operationssaal übertragen werden. Die Sensoreinheiten reagieren auf kleinste Erschütterungen, die entstehen, wenn der Arzt mit seiner Nadel auf Gewebestrukturen trifft – ähnlich wie sie von Instrumenten wahrgenommen werden, die Vibrationen in der Erde messen.

Know-how aus der Erdbebenforschung

Genau aus diesem Arbeitsbereich kommt Co-CEO Alfredo Illanes. Der promovierte Ingenieur hat die Erfahrungen, die er in seiner Heimat Chile in der Erdbebenforschung gesammelt hat, an der Uniklinik Magdeburg auf die Medizin übertragen. Dort lernten sich die vier Gründer auch kennen – als Mitglieder einer Forschungsgruppe. „Von Alfredo kommt das Konzept, dass wir mit Sensoren Vibrationen in der Nadel analysieren“, berichtet Moritz Spiller von den Anfängen der Firma, die 2021 als Surag Medical GmbH gegründet wurde.

Mitbewerber nähern sich dem bestehenden Problem in der minimalinvasiven Technik auf anderen Wegen an, die neue Instrumente erfordern. Moritz Spiller: „Wir dagegen haben standardisierte Schnittstellen genutzt, um unsere Sensorik hinten an bereits existierenden Instrumenten anzubringen. Dadurch kommt sie niemals in Kontakt mit dem Gewebe des Patienten. Das erlaubt eine niedrige Risikoklasse, wodurch weniger Aufwand in der Zulassung entsteht. Die Technologie bietet aber auch einen Kostenvorteil für die Anwender. Wir reden da von Vibrationssensoren und die sind sehr günstig. Deswegen können wir das für 30 Euro pro OP heute anbieten.“

In enger Abstimmung mit Ärzten der Magdeburger Uni-Kinik und anderer Krankenhäuser auch im Ausland wurde die Technik von der Idee bis zur Produktreife weiterentwickelt. „Wir konnten auf vorhandenes medizinisches Equipment zugreifen, konnten wirklich in die OP's gehen, mit den Ärzten jeden Tag sprechen. Dieses permanente Feedback hat unsere Entwicklung massiv beeinflusst. Deswegen kommen unsere Produkte auch aus der Praxis. Ein Arzt hat uns ein Problem geschildert und wir haben dafür eine Lösung entworfen“, berichtet Wirtschaftsingenieur Spiller, der bei Surag für Organisation und Finanzierungsfragen zuständig ist.

Für Unternehmer-Preis nominiert

Für ihren praxisnahen und vielversprechenden Forschungsansatz erhielten die Gründer über die Jahre Förderung aus unterschiedlichen Quellen: etwa durch den Exist -Forschungstransfer der Bundesregierung oder von Business Angel Professor Michael Friebe und dem erfahrenen Produktentwickler und Regulatorik-Experten Dr. Axel Boese, die die Unternehmensgründung auch angeregt haben. 2021 war Surag Medical dann Teil des 4C Accelerator in Tübingen, der sich als Inkubator auf die Förderung von Innovationen in der Medizintechnik spezialisiert hat. Zusätzlichen Schub verleihen dürfte die im April 2024 erfolgte Nominierung in der Startup-Kategorie des prestigeträchtigen Preises "Sachsens Unternehmer des Jahres 2024“.

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Bei der Female Founder Challenge 2022 in Berlin holte Surag den 1. Platz. ©Surag Medical

Bisher lief alles nach Plan und so dürfte es auch bei der nächsten Finanzierungsrunde, die im Sommer ansteht, keine Probleme geben, zumal alle technischen Fragen gelöst scheinen. Was jetzt noch fehlt, ist die Zertifizierung. Mit der angestrebten Zulassung für den europäischen Markt ist Mitte nächsten Jahres zu rechnen.

Erst dann kann man bei Surag ans Geldverdienen denken. „Wir werden in Deutschland und Europa mit Vertriebspartnern aus dem Medizintechnikhandel starten, zumindest für die große Fläche, weil der Aufbau einer eigenen Vertriebsmannschaft extrem viele Ressourcen erfordert“, sagt Spiller. Aktuell bestehen bereits Kontakte mit Medizintechnikfirmen weltweit. Ein bis zwei eigene Vertriebsleute sollen aber regional um den aktuellen Firmenstandort Leipzig herum eingesetzt werden, um den direkten Draht zu wichtigen Kunden zu haben und ungefiltertes Feedback zu bekommen.

Zusammenarbeit mit Robotikfirmen

Ein großes Anwendungsgebiet für die Surag-Sensoren sieht Spiller in der Robotik. Es wird damit gerechnet, dass im Jahr 2030 weltweit mehr als 20.000 OP-Roboter im Einsatz sein werden. Auch sie – oder erst recht sie – benötigen zuverlässige Unterstützung bei der Navigation im Körper. Spiller: „Unsere Technologie ist sehr vielseitig, Wir haben ja Vibrationen bei allen Instrumenten, nicht nur bei Nadeln. Wir bieten anderen Medizintechnikunternehmen, die robotische Systeme herstellen, bereits an, unsere Technologie für deren Anwendungsfall zu entwickeln.“

Dort soll künftig KI zum Einsatz kommen, die das Feedback in elektronischer Form direkt an den Roboter melden kann. „Da wollen wir uns eigentlich hin entwickeln: in ein Systemhaus für smarte, autonome Medizintechnik, sowohl mit eigenen Produkten aber eben auch durch Partnerschaften mit etablierten Herstellern und wir haben auch schon gute Kontakte zu den Top 5“, skizziert der CEO die Zukunftsvision des Surag-Teams. So könnte es gelingen, minimalinvasive Operationen in der Breite noch sicherer zu machen und gleichzeitig Ärzten und Krankenhäusern dabei zu helfen, wirtschaftlich erfolgreich zu sein und damit zudem die Kosten der jeweiligen Gesundheitssysteme im Griff zu behalten.

„Jedes Mal, wenn ein Autschi erfolgreich entfernt wurde, ohne dass der Alarm ausgelöst wurde, erhält der kleine Doktor Geld.“ Das ist bei „Doktor Bibber“ der Weg zum Erfolg – aber eben auch in der Realität.

Surag Medical GmbH                     

Gründungsjahr 2021
Sitz 04229 Leipzig
Gründer Moritz Spiller, Dr. Alfredo Illanes (beide CEO), Nazila Esmaeili (CDO), Thomas Sühn (CTO)
Anzahl Mitarbeiter  5
Website www.surag-medical.com